Tag 4: Warum wir das machen

Tag 4: Warum wir das machen

21. Oktober 2020 Allgemein 0

Heute ging es ans eingemachte und viele Tränen flossen. Montag. Erster Therapie Tag. Heute sollte es losgehen mit den Delphinen – der Grund weshalb wir das alles ja machen.

Doch zuvor marschierten Jojo, Miriam und ich erstmal los zum Geschwisterprogramm. Pünktlich um 8.15 wurden die beiden und ein weiteres Mädel von den Betreuern abgeholt und ich war abgemeldet.

Also nochmal rasch nach nebenan ins Hotel. Achim und Finja waren schon fast fertig, aber wir hatten noch Zeit, denn Finja ist erst um 10.30 Uhr dran. So hatten wir noch ein Stündchen um am Pool zu frühstücken um dann rüber zu gehen.

Beim Frühstück passierte etwas erstaunliches: Finja sagte klar und deutlich „Kaffee“ und schien wirklich meinen Kaffee anzuschauen. Gehört jetzt nicht wirklich zu ihrem üblichen Wortschatz, aber vielleicht ist das ja wirklich ihr Ding? Teelöffelweise durfte sie probieren und offenbar gefiel ihr der Geschmack und plauderte immer wieder fröhlich „Kaffee“ und sah meine Tasse interessiert an. Ich nehme an der Geschmack ist einfach sehr intensiv und sie steht ja auf starke Reize.

Dann gings wieder zum Centrum. Kati begrüßte uns sehr, sehr herzlich. Sie ist Ergotherapeutin und von ihren Spezialisierungen her genau die richtige für Finja. Sie wird von einer Logopädin unterstützt, die Finja gleich mal mitnahm, während Kati sich mit uns unterhielt.

Und das war der Moment in dem ich Taschentücher gebraucht hätte. Denn wenn dich jemand anschaut und wirklich präsent zuhört und man das Gefühl hat wirklich gesehen zu werden – dann ist das so ein Momo-Moment.

Für einen Moment war ich ganz weit weg von der Marion, die alles regelt und wuppt und versuchte zu beschreiben, warum wir eigentlich hier sind. Und das ist ja nicht „das Down Syndrom“ oder „der Autismus“. Weshalb ich das alles mache, weshalb ich 9000 km auf mich nehme und an Stiftungen schreibe und für dieses Projekt Geld sammle – das sind Hoffnung und Schmerz.

Und für einen Moment kam die tiefe Trauer, die ich sonst doch immer so gekonnt auf Abstand halte durch. Für einen Moment flossen die Tränen. Für einen Moment erlaubte ich mir die Emotionen, die ich sonst nicht zulassen kann. Weil das Leben ja weitergehen muss. Weil es ja niemandem hilft, wenn ich heule. Und weil ich meine Kraft brauche um die Dinge geregelt zu kriegen, allen gerecht zu werden und den Kopf oben zu behalten.

Aber ja: Wir sind hier, weil ich glaube, dass die Jahre der unerkannten Zöliakie etwas kaputt gemacht haben. Dass die Schmerzen dieser Jahre Finja von sich selbst entfernt haben. Und hoffe, dass die Delphine ihr helfen können sich selbst wieder zu finden. Dass das Wasser, die Sonne, die Tiere ihr helfen sich wieder wohl in ihrem Körper zu fühlen, ihm zu vertrauen und sich selbst zu spüren statt sich mit autistischen Verhaltensweisen abzulenken ins „wegzubeamen“.

Ich spürte meine unendliche Traurigkeit, dass ich an dieses Kind nicht rankomme. Zumindest nicht oft. Nicht intensiv. Dass wir in zwei Welten leben und sie je nach Tagesform eben nur gelegentlich in unserer zu Besuch ist und man zu ihrer kaum Zugang hat. Es tut weh zu sehen, dass sie manchmal großartige Worte, sogar sinnvolle 2- und 3-Wortsätze herausbringt, die aber nie wieder kommen. Wie Sternschnuppen. Momente in denen man merkt, was alles in ihr steckt – und irgendwie nicht raus kann. Wie bei Menschen mit Demenz oder im hohen Alter, die teilweise ganz weit weg zu sein scheinen – und an anderen Tagen Momente von Klarheit und Präsenz haben.

Ich glaube, dass Finja mehr versteht und mehr will und mehr kann – wie ein Computer, der eigentlich eine Menge könnte, der aber nur gelegentlich genug Bandbreite hat um mit anderen zu interagieren oder ein Funkgerät, das dooferweise nur eine Frequenz empfängt, die sich aber täglich ändert und wo man oft nur durch Zufall reinschaltet…

Dieser Schleier zwischen uns, dieses Gefühl, dass sie sprechen möchte aber die Worte nicht findet, diese Erfahrung von Distanz – das tut weh. Jeden Tag. Und all das halte ich auf Abstand.

Und es gelingt mir meistens damit zurecht zu kommen indem ich tue, was ich kann. Lieben, Fördern, Üben, gelassen bleiben, mich um die anderen beiden kümmern, Recherchieren und eben alles zu versuchen, was helfen könnte, sie ein kleines bisschen mehr in die Familie einzubinden, Zugang zu bekommen, Kommunikation zu ermöglichen.

Nach all den Tränen sprachen wir über Hoffnungen und Ziele. Was würde uns konkret helfen? Wir erzählten, dass Finja ihre Bedürfnisse nicht ausdrückt. Sie zeigt nicht auf Dinge. Weshalb sie nicht zwischen zwei Optionen wählen kann. Dass ihr Nachahmungstrieb kaum vorhanden ist, weshalb sie weder Gebärden übernimmt, noch spricht oder Übungen nachmachen kann. Kurz: Kommunikation und Lernen scheitert immer wieder an dem fehlenden Antrieb Dinge bewusst zu gestalten.

Ich glaube, dass sie in der Zeit der Schmerzen als weder sie noch wir Einfluss hatten, als ihr keiner geholfen hat, dass sie irgendwann in dieser Zeit aufgehört hat Hilfe zu suchen oder zu erhoffen. Sie hat gelernt die Dinge so hinzunehmen wie sie sind. Und einfach innerlich auf Abstand von diesem kaputten Körper mit den Bauchschmerzen, der defizitären Wahrnehmung, dem bescheuerten Stoffwechsel zu gehen.

Vielleicht ist es klug von meinem Kind. Aber ich spüre auch, dass mehr in ihr steckt. Mehr Lebensfreude. Mehr Selbstkompetenz. Mehr Gedanken. Mehr Wünsche. Und ich möchte ihr helfen mehr Selbstbestimmung zu erlangen. Sich auszudrücken. Ihr Leben aktiv(er) zu gestalten und nicht nur hinzunehmen was man mit ihr macht oder zu blockieren wenn sie Dinge nicht will oder nicht versteht.

Auf Dinge zu zeigen wäre ein guter Anfang, oder? Kati nickte und erklärte, dass wir jetzt mal schauen und wir in diesen 2 Wochen das alles mal loslassen dürften. Sie gab uns noch den Plan mit den Seminaren und Workshops und dann holte sie Finja und auf ging es zu den Delphinen.

Glück ist, wenn Dein Kind strahlt

Im Anzug und vertrauensvoll an der Hand der Logopädin kam Finja aus dem Haus und los ging es zu den Docks und zu Kanoa.

Kanoa ist ein männlicher Delphin „mit einer ruhigen, angenehmen männlichen Energie“ erläuterte Kati uns später. Er lebt mit Sammy zusammen, einem jungen, quirligen Delphin, der gerade keine Therapie, sondern Training hatte, was lustig anzusehen war, denn einige Kommandos waren denen, die ich für Jodee benutze sehr ähnlich.

Es macht Spass ihm und seiner Trainerin zuzuschauen und spätestens jetzt verlor ich alle Bedenken: Das ist genauso eine liebevolle Beziehung und die beiden haben genauso viel Spass miteinander wie Menschen und Hunde beim Dummy-Training oder Mantrailing oder Tricks lernen.

Inzwischen hatten Finja, Kanoas Trainerin, die Logopädin und Kati sich auf dem Dock eingerichtet. Schon nach wenigen Minuten ging Finja bereitwillig mit ins Wasser. Kati schwamm mit ihr und mir fiel siedendheiss ein, dass ich vergessen hatte sie vorzuwarnen wie sehr Finja im Wasser klammert.

Frühes Reiten hat bei ihr zur Folge gehabt, dass sie definitiv bei einem dieser Rodeo-Wettbewerbe in Texas den ersten Platz machen würde. Ich kann mir keinen Bullen vorstellen, der mein Kind abwirft. Auch einen Flug auf einem Drachen würde ich ihr bedenkenlos zutrauen. Allein ihre Beinarbeit würde reichen sich selbst in einem Orkan an einem Drachen festzuhalten, aber da sie sich auch noch mit den Armen hält wäre selbst ein Sturzflug kein Problem. Kati kriegte das aber selbst mit und hat offenbar Erfahrung mit Klammeraffen im Wasser.

Kanoa nahm vorsichtig Kontakt auf und Finja schubste ihn erstmal weg. Kati schwamm etwas mit ihr, ließ sie Kanoa beobachten und dann kam der Delphin wieder und nahm langsam Kontakt auf.

Kati ließ Finja Kanoa berühren und langsam entspannte sie sich. Wenige Minuten später strahlte ihr Gesicht als sie mit Kati und dem Delphin durchs Wasser kreiste. Es war superschön anzusehen. Nun zeigte die Logopädin Finja zwei Bilder was man mit dem Delphin spielen kann. Finja sollte auswählen. Wie immer zeigt Finja ihre Präferenz indem sie das Gewünschte oder Interessanteste lange anschaut. Das machten sie 2, 3 mal.

Für mich setzte eine tiefe Entspannung ein. Wir waren wirklich hier. Nur durch ein paar Steine vom offenen Meer entfernt spielte Finja mit einem Delphin und war offensichtlich vergnügt. Wind, Wellen, Sonne… Zwei zufriedene Geschwisterkinder, die sichtlich Spaß daran hatten ihre Schwester und die Delphine zu beobachten und ein glückliches Kind im Wasser… Allein für diesen einen Moment hatte sich die Mühe schon gelohnt… Die Freude und das Strahlen war noch spürbar als sie an der Hand der Logopädin den Steg zurück zu den Duschen ging und bis in den Abend hinein war Finja ganz ruhig und entspannt und ihr Gesicht war so offen und fröhlich wie selten….

Ich will schnorcheln

Nach der Therapie hatten wir Lunch auf der Poolterrasse und Miriam begann mit den Hausaufgaben. Dann war erstmal ausruhen angesagt. Achim und Finja in der Kühle des Appartements, ich am Pool und Meer.

Am Strand war ich total allein mit 100 Liegen. Schon merkwürdig. Gegenüber am Mambo Beach waren auch ein paar Leute, aber nicht wirklich viele. Eine Taucherklasse übte dort am Strand den Umgang mit dem Zubehör und ich bekam Lust zum Schnorcheln. Aber wie? Ich habe immerhin 5-6 Dioptrien. EGAL. Erstmal Brille, Schnorchel und Flossen ausleihen.

Ich probierte etwas rum und stellte fest, dass ich mit meiner Ersatzbrille VOR der Taucherbrille durchaus gut sehen konnte. Etwas kompliziert zwar aber immerhin eine gute Notlösung. Und Wasser ist ja schon immer mein Element gewesen.

Beim Schnorcheln kam ich so tief zur Ruhe wie es keine Meditation bei mir schafft. Ich war völlig ruhig und konnte komplett auftanken. Menno! Ich will eine Taucherbrille mit Sehstärke! mault zwar eine Stimme in mir aber gleichzeitig sagt eine andere „Egal… Ist auch so schön großartig.“

Mein Glück war perfekt als Jonathan sich dazu gesellte und wir diese Erfahrung teilen konnten. Auch für ihn war es das erste Mal und wir genossen es zwischen den Stränden hin und her zu schwimmen und uns gegenseitig auf Fische aufmerksam zu machen. Einfach schön.

Der Abend klang am Pool aus. Jojo tobte mit Gabriel, dem Spanier, durchs Wasser und die beiden verständigten sich mit Gesten und Englisch recht gut. Miriam hatte ihre Hausaufgaben fertig und kam mit Finja herunter, die dann noch eine Stunde friedlich meditierend vor meiner Liege saß und den Sonnenuntergang erlebte.

Als um 19 Uhr dann die karibische Nacht über uns hereingesunken war, sind Achim und ich noch für einen Moment in den Jakkuzi um die Sterne zu beobachten und so endete ein voller und aufregender erster Tag mit den Delphinen.